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Start von Lebensmittelklarheit.de

31 Jul

Am 20. Juli ging die lange erwartete Verbraucherplattform lebensmittelklarheit.de online. Die ersten Tage gestalteten sich wohl etwas komplizierter, als sich der Betreiber (der Bundesverband der Verbraucherzentralen) das gedacht hatte. Von mehr als 20.000 Anfragen pro Sekunde war die Rede, die Sprecherin des Verbandes spekulierte gar über einen gezielten Hackerangriff. Wenn da mal nicht die Ernährungsindustrie dahinter steckte. Die war nämlich schon seit der Ankündigung von lebensmittelklarheit.de gegen das Projekt Sturm gelaufen. Und allein das ist schon ein gutes Zeichen.

Idee des Internetportals ist schnell erklärt. Ähnlich wie auf der von der Verbraucherorganisation foodwatch betriebenen Seite abgespeist.de sollen Verbraucher die Möglichkeit bekommen, Produkte „an den Pranger zu stellen“, um mal die Foodlobby zu zitieren. Ist man also der Meinung, das beispielsweise die Aufmachung der Verpackung bzw. die Art wie das Produkt beworben wird, nicht mit dem Inhalt übereinstimmt, kann man das als Täuschungsversuch deklarieren. Die Verbraucherzentrale prüft diese Angabe und konfrontiert den Hersteller mit den Vorwürfen. Dieser sollte möglichst innerhalb von sieben Tagen dazu Stellung nehmen, was dann zusammen mit einer Bewertung auf lebensmittelklarheit.de publiziert wird. Verbraucherschutzministerin Aigner spricht von einem „fairen und sachlichen Austausch zwischen Verbrauchern und Wirtschaft“.Das ganze wird in drei Kategorien aufgeteilt.

1. Getäuscht?

Jede Art von Mogelei kann man hier anklagen. Vollkommen egal, ob es sich um nicht der Aufmachung entsprechenden Inhalt, kaum leserliche Zutatenlisten oder schlicht um falsche Hoffnungen handelt, die das Produkt weckt. Der Vorwurf wird von den Verbraucherschützern geprüft und gegebenenfalls mit einer Änderungsaufforderung an den Hersteller weitergeleitet. Das ist ein klarer Knackpunkt, zum Einen, weil diese Prüfinstanz festlegt, ob eine Täuschung vorliegt oder nicht, zum Anderen, weil jeder Verbraucher andere Erwartungen an ein Produkt hat, was zu einer Flut von Protestmeldungen führen wird, die kaum alle zu einem Ergebnis führen können.

2. Geändert

Hier werden die Produkte aufgelistet, bei denen der jeweilige Hersteller auf die Kritik reagiert und eine Änderung vorgenommen hat. Beispielsweise beschränkt  sich ein Kaffeehersteller bei seinem „klassischen“ Kaffee wieder auf 100% Kaffe als Zutat und verzichtet auf Maltodextrin und Karamell. Andere vergrößern die Schrift oder ändern die Beschreibung der Packung.

3. Erlaubt

Dieser Kategorie stehe ich mit viel Skepsis gegenüber. Hier kommentieren die Verbraucherschützer Produkte, deren Inhalt zwar offensichtlich nicht mit der Beschreibung übereinstimmt, was aber in diesen Fällen nicht dem Gesetz widerpsricht. Beispielsweise darf man Wiener-Würste mit mind. 15% Kalbfleisch Kalbswiener nennen, auch wenn sie dann eben zum Großteil aus Schweinefleisch bestehen. Ähnlich darf sich ein Käse Ziegenkäse schimpfen, wenn er zu 15% Ziegenmilch enthält. Von welchen Tier die restliche Milch kommt, muss nicht mal aufgeführt werden, Allergiker freuen sich riesig. „Erlaubt“ hat das zweifelhafte Potenzial zu einer Art Abstellgleis zu degenerieren, wo man alle Produkte hinschiebt, bei denen eine ordentliche Herstellung bzw. Kennzeichnung einer gesetzlichen Neuregelung bedürfte. Wann die Verbraucherschützer eine Konsumententäuschung für einenBetrugsversuch und wann für eine legitime Deklaration halten, ist ziemlich unklar. Letztendlich ist ja eigentlich alles, was da so an Inhalts- und Verpackungsschindluder getrieben wird, leider irgendwie legal.

Die Plattform wird  vom Bundesministerum für Verbraucherschutz(BMELV) unterstützt. Ministerin Aigner formuliert das Ziel von lebensmittelklarheit.de in einer Pressekonferenz  als Versuch eine Übereinstimmung zwischen Inhalt und Präsentation eines Produkts zu erreichen. Frei nach dem Motto: „Was draufsteht, muss auch drin sein.“ Da sie nach dem Dioxinskandal Anfang des Jahres einiges an Verbrauchersympathien wieder zurückgewinnen muss, dürfte allerdings zu einem nicht ganz unerheblichen Teil zu ihrem Engagement beitragen.  Dass erstmal keine gesetzlichen Neuregelungen geplant, überrascht mich kaum. Man muss befürchten, dass die Rubrik „Erlaubt“zu der Lücke wird, die letztendlich verhindert das Lebensmittelbetrug, der gesetzlich erlaubt ist, verhindert werden kann.

Lediglich das Verbraucherinformationsgesetz wurde überarbeitet. Die Änderungen beziehen sich allerdings auf den bereits erwähnten Dioxinskandal. So soll z.B. eine „Verpflichtung zur zwingenden Veröffentlichung aller Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften“ eine besser informierte Öffentlichkeit schaffen. Hier geht’s also darum, dass illegales Treiben im Zusammenhang mit Nahrungsmittelproduktion öffentlich gemacht werden muss. Beeindruckend. Mit dem Versuch Produktinszenierungen auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen hat das leider nichts zu tun. BMELV-Ministerin Aigner behauptet, man werde gesetzliche Regelungen überdenken, sobald man über lebensmittelklarheit.de ein Bild bekommen habe, „wo den Verbrauchern der Schuh drückt“. Man darf gespannt sein.

 
Ein Kommentar

Verfasst von - Juli 31, 2011 in Aktuelles

 

Eine Antwort zu “Start von Lebensmittelklarheit.de

  1. Peter

    Juli 31, 2011 at 20:18

    wirklich sehr informativ das Ganze! Ich bin schon richtig neugierig auf den nächsten Eintrag!

     

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